Dienstag, 11. Mai 2010

Rheinseiten und Ansichten

Am vergangenen Samstag verschlug es mich aus dem sonnigen Aachen für einen Tag nach Krefeld – nein, das ist nicht das Ruhrgebiet. Dazu liegt es auf der falschen, nämlich linken Seite des Rheins. Ich lerne täglich hinzu. Hier darf man nämlich auch kein Kölsch bestellen. Nicht dass mir das in den Sinn gekommen wäre. Mir fehlt doch das fränkische Bier.
Zugegeben, es ist ein bisschen gemein, mit vergleichsweise akzentarmem Deutsch NRW zu infiltrieren. Im Rahmen meiner Undercoveraktion komme ich in den Genuss einer Lehrstunde über mecklenburgische Straßenverhältnisse erteilt von Menschen, die von mir nur wissen, dass ich mal sieben Jahre in Leipzig studiert habe. Hierzulande weiß man jedenfalls mit Sicherheit: „Die Autobahnen im Osten sind jetzt ganz nagelneu und ausgebaut und auch die innerstädtischen Straßen vor allem nördlich von Berlin wurden ja runderneuert.“ – „Alles blitzt und glänzt in Brandenburg.“ Und weil es im Ruhrgebiet den Menschen so schlecht geht und die Pötter längst nicht so sehr glitzern wie die Menschen in den Ostgebieten, sei es doch an der Zeit, den Benachteiligten immerhin nach über zwanzig Jahren die Zahlung des Soli-Beitrages zu erlassen. Die Verhältnisse hätten sich schließlich längst umgekehrt. Auf Nachfrage, wann denn die Ostgebiete zuletzt bereist wurden, folgt nachdenkliches Stirnrunzeln: „Hm, naja, also in Ostberlin waren wir mal in den Achtzigern, aber Berlin hat ja seit der Wende auch seinen Charme zunehmend verloren, nicht wahr?“
Hach, wie gut, dass aus Ostperspektive die Pottgrenzen in Helmstedt gezogen werden. Auch gut, dass die SPD nun Gelegenheit bekommt ihre Konzepte in der Bildungspolitik voranzutreiben. Da gehören Geographie und Sozialkunde hoffentlich auch ganztägig zum Programm. Wenn die Linke schließlich noch Teil der Regierungskoalition wird, dann gibt’s bestimmt ein bissl Aufklärung über „original sozialen“ ostdeutschen Glamour gratis. Ich war übrigens am Sonntag nicht wahlberechtigt, weil ich mich weigerte, im Einbürgerungstest NRW Stellung zu meinem Kopftuch zu nehmen. Aber es gibt Hoffnung, es glitzert, es dämmert.

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