Donnerstag, 25. Juni 2009

tempus fugit

Der letzte Blogeintrag ist auf den Tag genau einen Monat her. So lange war niemals Funkstille an dieser Stelle. Ein Jahr Bloggen - und schon ist uns die Puste aus gegangen? Ja, es bröckelt auf dem Schwarzacker, nicht nur von den Wänden. Es werden eifrig Nachmieter gesucht. Dauernd brechen hier fremde Leute ein, die die Traditionslinie, in die sie im Begriff sind sich zu stellen, nicht im Geringsten erahnen, noch zu schätzen wissen. Doch Tradition ist auch immer ambivalent! Das habe ich in der Leipziger Disputation 2009 von Herbert Schnädelbach gelernt. Christoph Markschies wollte unbedingt auf die Tradition stolz sein. Der Philosoph hingegen plädierte für den Respekt vor ihr, weil Respekt die Komplexität und damit die Ambivalenz der Tradition anerkennt und würdigt im Gegensatz zum unkritischen Stolz... Ich schweife ab.

Ein Geburtstag bietet auch immer die Gelegenheit, kurz und verstohlen zurück zu blicken. Damit die Rückschau nicht langweilig wird, ein paar wenige Superlative und die bescheidene Analyse der sonstigen Ergebnisse:












C. ist nach diesem Jahr die unangefochtene Siegerin in puncto Produktivität unter den AutorInnen. D., der sich äußerst selten zu Wort meldete, gewinnt, was das Kommentar-Verhältnis angeht. Die sechs AutorInnen scheinen gewissermaßen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu spiegeln. Die Oberschicht setzt sich zusammen aus S. und den Hexen. Die Unterschicht aus den beiden Frischlingen (L. & D.) und der Weggezogenen A. Konsequent und hartnäckig geweigert, am kommunitären Reden teilzunehmen, hat sich der gleichnamige M. Folgerichtig wird er auch bei der großen Schwarzackerparty nicht mitfeiern dürfen. Da bleiben wir hart. Sein Mangel an Respekt vor der Tradition verletzt den Stolz der Elite zutiefst.

"So jung kommen wir nicht mehr zu sammen"- und "So schön wird's nie wieder sein"-Hymnen werden auf dem Schwarzacker nur sehr leise gesummt, wenn überhaupt. Die Schwarzackerinnen sind keine Kinder von Traurigkeit. Am 15. Juli 2009 werden alle Gefühlsduseleien ab 20 Uhr in hartem Alkohol ertränkt und der 11er-Hinterhof rockt. Alle Leser und Anverwandte sind herzlich eingeladen, die letzten Momente der Gegenwart und Anwesenheit (fast) aller zu zelebrieren.

Es ist auch an der Zeit, in die Zukunft zu blicken: Die Umfrage ist beendet und das Geburtstagsgeschenk, das die 12 Abstimmenden dem Schwarzackerblog gemacht haben, ist einigermaßen widersprüchlich. Von zehn möglichen Antwortmöglichkeiten gab es zwei Optionen für Unentschlossene (Weiß nicht; Weiß ich echt nicht) und jeweils vier Ja- bzw. Nein-Stimmen-Angebote. Da mehrere Antwortmöglichkeiten zugelassen waren, ist es nicht so leicht, die Ergebnisse zu interpretieren.
Zunächst kann ich die beiden Stimmen für die Unentschlossenen-Option abziehen, denn das sind meine eigenen. Bleiben noch 11 WählerInnen. Ein(e) einzige(r) ist der Meinung, dass eh keiner das Blog liest. Herzlichen Glückwunsch zu so viel Nüchternheit! Hier zeigt sich wohl der einzige Leser oder die einzige Leserin, der oder die der Wahrheit ins Auge blicken konnte. Ich unterstelle hier eine gewisse Antwortkonsistenz und gehe nun für die restlichen Stimmen von zehn WählerInnen aus - die von Extremwerten bereinigte Auswahl.

Fünf Stimmen repräsentieren die Unsterblichkeitsphantasien der Abstimmenden und repräsentieren damit die transzendenzaffine Esoterikfraktion in der Leserschaft - immerhin die Hälfte. Ebensoviele Stimmen bestätigen die Vermutung einer emotionale Leserbindung ("liebgewonnen"). Zwei Abstimmende möchten das Blog gar zur Trennungsschmerzbewältigung nutzen. (Im Rahmen meiner Abschlussarbeit zur Onlineseelsorge kann ich mich Ihnen an dieser Stelle als Austauschpartnerin anbieten.)

Die größte Fraktion, 90 Prozent!, rechnet mit neuen Themen im neuen Leben. Einer solchen Votierung kann sich auch eine kulturpessimistische Protestantin nicht verschließen.
Freilich, die Tradition erlebt immer wieder Abbrüche und Neuaufbrüche - Interpretation, Umdeutung und Weiterentwicklung. Doch die gruppendynamischen Prozesse sind unwiderruflich der Erosion preisgegeben. Ist das Kollektiv, das die Tradition trägt und bewahrt, vollständig entbehrlich? Ich habe viele Fragen, doch an einem Geburtstag soll man auch nicht zu viel lamentieren: Ich gratuliere der virtuellen Jubilarin "Schwarzackerblog" und wünsche ihr für ihr neues Lebensjahr eine neue Vitalität, geprägt von neuen Themen, gewürzt mit einer Prise Nostalgie. Ich bin gespannt und lasse mich überraschen.

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